Europa nach den Wahlen – Ungarn hat gewählt

Zum vierten Mal in Folge kann Orbán mit einer verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit regieren. Welche Auswirkungen kann das auf die Innenpolitik des Landes und auf die Zukunft der EU haben? Darüber sprach der EU-Journalist Moritz Kolb vom Handelsblatt mit Zoltán Gyévai, Herausgeber Bruxinfo, ungarische Nachrichtenagentur/EU-MONITOR, am 4. April 2022 in der Hessischen Landesvertretung in Brüssel.

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Überraschung bei den Parlamentswahlen

Mit diesem so klaren Ergebnis habe man nicht gerechnet, sagte der ungarische Journalist bei der Präsentation der Wahlergebnisse in der Hessischen Landesvertretung in Brüssel.

Trotz des Bündnisses der sechs Oppositionsparteien „Vereint für Ungarn“ mit ihrem Spitzenkandidaten Péter Márki-Zay, das von der rechten Partei Jobbik über die Liberalen, Grüne und Linke reicht, gelang es der Opposition nicht, die Wähler zu überzeugen und Orbán zu besiegen. Mit 35,04 Prozent und 56 Parlamentssitzen haben sie ihr Ziel deutlich verfehlt. Die Fidesz-Partei mit ihrem Ministerpräsidenten Viktor Orbán hat mit 53,1 Prozent und mit 135 Parlamentssitzen ihr bestes Wahlergebnis und mehr Parlamentssitze als bei der letzten Wahl im Jahr 2018 erzielt. Überraschend hat auch die rechtsextreme Partei “Heimatland“ mit 6,17 Prozent und sieben Sitzen den Einzug ins Parlament geschafft. Ein weiteres Mandat ging an den Vertreter der deutschen Minderheit, der als Verbündeter der Fidesz-Partei gilt. Ausgezählt seien bislang noch nicht die Stimmen der im Ausland lebenden Ungarn. Die Wahlbeteiligung sei mit fast 70 Prozent hoch.

Zoltán Gyévai, Herausgeber Bruxinfo, ungarische Nachrichtenagentur/EU-MONITOR, präsentiert die Wahlergebnisse
Zoltán Gyévai, Herausgeber Bruxinfo, ungarische Nachrichtenagentur/EU-MONITOR, präsentiert die Wahlergebnisse

Warum hat die Opposition die Wahl verloren?

Mit viel Hoffnung auf Veränderung begonnen, sei der Wahlkampf der Opposition doch schwach gewesen, meinte Guévai. Zum einen habe es daran gelegen, dass dem Vorsitzenden der Vereinten Opposition, Márki-Zay, die politische Erfahrung in der großen Politik gefehlt hat. Zum anderen habe Orbán 12 Jahre Zeit gehabt, ein System aufzubauen, um die Gesellschaft in seinem Sinne zu verändern. Vor allem aber habe der Krieg in der Ukraine die Situation im Land komplett verändert und zur Verunsicherung der Wähler beigetragen. Frieden und Freiheit für Ungarn waren Orbáns Schlüsselwörter im Wahlkampf: „Er sorge für Frieden, während die Opposition ungarische Soldaten in den Tod schicken wolle“. Auch hatte die Opposition nicht die gleichen Möglichkeiten zur öffentlichen Kommunikation über die Medien und ausreichenden Zugang zu den staatlichen Medien wie Orban und seine Partei. Beispielsweise seien die Oppositionspolitiker nicht ins öffentlich-rechtliche Fernsehen eingeladen worden. Stattdessen habe sich Márki-Zay mit fünf Minuten Redezeit im staatlichen Fernsehen begnügen müssen, was die gesetzlich vorgeschriebene Untergrenze ist.

Moderation mit Moritz Koch, Handelsblatt
Moderation mit Moritz Koch, Handelsblatt

Zukunft für Ungarn

Doch werde es Orbán in der neuen Legislaturperiode nicht leicht haben. Denn zum ersten Mal steht die Orbán-Regierung vor einer negativen wirtschaftlichen Entwicklung mit steigender Inflation, die schon vor dem Ausbruch des Ukraine-Krieges entstanden war. Dazu kommt die durch den Krieg ausgelöste Energiekrise, die Ungarn ebenfalls schwer trifft. Außerdem habe die Regierung vor der Wahl teure „Wahlgeschenke“ für alle Altersgruppen der Bevölkerung verteilt, unter anderem eine Rentenerhöhung und eine Aufhebung der Einkommensteuerzahlung für alle Arbeitnehmer unter 25 Jahren. Aus Sicht des ungarischen Journalisten werde Orbán die finanzielle Unterstützung der Europäischen Unionbenötigen, er müsse jedoch einige taktische Opfer bringen, um Gelder zu erhalten. Die Kommission habe sich bislang zurückhaltend gegenüber Ungarn gezeigt. Auf der einen Seite verstoße Ungarn zwar unter anderem gegen das Rechtstaatlichkeitsprinzip, andererseits habe es die EU-Sanktionen gegen Russland mitgetragen und hunderttausende ukrainische Flüchtlinge aufgenommen.

Wie wird sich Orbán gegenüber der Europäischen Union und der internationalen Politik verhalten, fragte Moritz Koch, der die Veranstaltung moderiert hat. Orbán habe eine nie dagewesene Unterstützung aus der ungarischen Gesellschaft, gleichzeitig hätten sich die externen Bedingungen verschlechtert, stellte Guévai fest. Die Konfrontation mit Brüssel werde aus seiner Sicht bleiben. Die in einigen Fällen nur widerwillig gewährte Unterstützung Orbáns für alle EU-Maßnahmen und EU-Sanktionen gegen die kriegsführende russische Regierung und die international vernetzten Oligarchen seien von roten Linien flankiert gewesen: kein Embargo für russische Energielieferungen, insbesondere Gas, keine direkten Waffenlieferungen an die Ukraine bei Tolerierung von indirekten Lieferungen über Drittländer und keine Flugverbotszone oder Entsendung von Soldaten in die Ukraine.

Die örtlichen Corona-Vorschriften wurden eingehalten.

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